Artus Quellinus I., Herkules und der Nemeische Löwe

Artus Quellinus I. (1609-1668)  

Herkules und der Nemeische Löwe  

Circa 1630-1635  

Terrakotta  

  

Ausgestellt im Snijders&Rockoxhuis (Antwerpen) 

Artus Quellinus I., Herkules und der Nemeische Löwe
Herkules, der Held

Herkules war in der griechischen Mythologie der uneheliche Sohn des Gottes Zeus und der Sterblichen Alkmene. In einem Wutanfall tötete er seine eigenen Kinder und wurde daraufhin von den Göttern schwer bestraft. Um seine göttliche Unsterblichkeit wiederzuerlangen, musste er 12 fast unmögliche Arbeiten (Aufgaben oder Taten) verrichten.   

Zuerst sollte er den Nemeischen Löwen erlegen, ein wildes Tier, das die gesamte Gegend terrorisierte. In einem heldenhaften Kampf um Leben und Tod besiegte der muskulöse Held den Löwen. Quellinus‘ Skulptur Herkules und der Nemeische Löwe zeigt den Augenblick, in dem der Halbgott dem Löwen die Kehle zuschnürt.  

Artus Quellinus 

Artus Quellinus I. (1609-1668) gehört zu den größten Bildhauern der Südlichen Niederlande. Die Familie Quellinus war eine berühmte Künstlerfamilie. Artus war der Sohn von Erasmus Quellinus I. und der Onkel von Artus Quellinus II., beide ebenfalls berühmte Bildhauer.    

Artus war eng mit Rubens befreundet. Alles weist daraufhin, dass Peter Paul Rubens den jungen Künstler bei seiner Karriere unterstützte. Rubens’ Einfluss auf Quellinus lässt sich nicht leugnen: Der Bildhauer übernahm eine Menge bekannte und weniger bekannte Motive von ihm. Ein gutes Beispiel dafür ist diese Terrakotta-Skulptur. Der Entwurf ist unmittelbar auf Werkzeichnungen von Rubens zurückzuführen.  

Peter Paul Rubens, Hercules en de leeuw van Nemea, ca. 1635 - 1638, Collectie Stad Antwerpen, Museum Plantin-Moretus, publiek domein
Peter Paul Rubens, Schetsen voor de werken van Hercules, ca. 1600 - 1608, British Museum (Londen), CC BY-NC-SA 4.0
Die Suche nach Perfektion

Rubens zeichnete im Laufe seines Lebens mehrmals Herkules’ Kampf mit dem Löwen. Er hatte das starke Motiv auf einem bekannten antiken Relief in Rom gesehen. Auf einer frühen Zeichnung rückte er den muskulösen Körper des Helden in den Fokus. Eine andere Zeichnung zeigt den kämpfenden Herkules mit einem Bein auf einem bereits erlegten Leoparden. Auf einem weiteren Blatt zeichnete Rubens mehrere Szenen von Herkules und stellte unten drei Varianten des Kampfes dar.  

Während die Komposition auf allen Zeichnungen gleich ist, wird die Position des Helden und des Löwen auf jeder Skizze etwas anders dargestellt. Die Zeichnungen zeigen Rubens’ Suche nach Perfektion: Wie erfasst man Herkules’ Kraft und Bewegung in einem einzigen Bild? Der Künstler untersucht auf seinen Werkzeichnungen ständig neue Möglichkeiten.  

Die Skizzen führten auch zu einigen gemalten Kompositionen. Rubens’ Gemälde, das dem hier dargestellten Kampf am meisten glich, ist jedoch leider verloren gegangen und nur noch durch eine Kopie bekannt.  

Atelier Peter Paul Rubens, Hercules worstelend met de leeuw van Nemea, na 1615, bewaarplaats onbekend (voorheen in Sanssouci slot in Potsdam, vermoedelijk vernietigd tijdens WO II), publiek domein
Rubens’ Faszination

Rubens war natürlich von Herkules fasziniert. Der Halbgott galt nicht nur als Sinnbild der Kraft, sondern auch des Leidens, des Durchsetzungsvermögens und der Erlösung: Themen, die eng an Rubens‘ Kunst anschlossen.   

Seine Bewunderung für diese Figur lässt sich aber nicht nur an den vielen Zeichnungen ablesen, die er von Herkules anfertigte. Er stellte an prominenter Stelle in seinem Garten auch ein großes Standbild des Halbgottes auf. Das zeigt ihn jedoch als ruhige, siegreiche Figur: als zeitloses Symbol der Kraft und des Triumpfes und Spiegel von Rubens’ humanistischen Idealen zugleich.  

Quellinus zugeschrieben

Artus Quellinus I. genoss bei der Anfertigung der Skulptur wahrscheinlich die Unterstützung seines Bruders Erasmus Quellinus II., der eng mit Rubens zusammenarbeitete. Möglicherweise beteiligte sich Artus’ Freund Rubens sogar persönlich am Schaffensprozess.  

Das Rubenshuis erwarb das Werk 1979. Damals wurde es jedoch noch einem unbekannten Bildhauer aus dem Umfeld von Quellinus I. zugeschrieben. 2022 untersuchte Bieke van der Mark vom Rijksmuseum die Skulptur mit modernsten Techniken und schrieb daraufhin das Werk in der Ausstellung Van crabbelinghe tot carton (Museum Plantin-Moretus, 2023) zum ersten Mal Quellinus selbst zu.  

Ausschlaggebend waren dabei die Übereinstimmungen mit Quellinus’ anderem Herkules in Labore et Constantia aus dem Jahr 1639, einer Kartusche über der Tür des Museums Plantin-Moretus. Auf beiden Werken erkennt man die gleichen Techniken und Details und sogar der Gesichtsausdruck des Halbgottes stimmt überein. 

Artus Quellinus I, Cartouche met drukkersembleem van Plantijn, ‘Labore et Constantia’, boven de deur van het Museum Plantin-Moretus, 1639, Collectie Stad Antwerpen, CC BY-SA 3.0 Ad Meskens

Die Skulptur weckt weiterhin das Interesse der Kunsthistoriker*innen. Zurzeit wird gerade eine Untersuchung der Fingerabdrücke auf der Terrakotta-Figur durchgeführt. Fortsetzung folgt – mit hoffentlich weiteren überraschenden Erkenntnissen!  

Ein vollwertiges Kunstwerk aus Terrakotta

Diese große Terrakotta-Skulptur wurde bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, was sehr außergewöhnlich ist, da Künstler in der Barockzeit und Renaissance Terrakotta – d. h. gebrannten Ton – meistens als Zwischenphase nutzten: als Modell, um ihren Auftraggebern oder Assistenten ihre Ideen zu veranschaulichen, die später dann in Bronze ausgearbeitet wurden.  

Hier ist es anders. Aufgrund der verfeinerten Ausarbeitung jedes einzelnen Details handelt es sich bei dieser Arbeit wohl kaum um ein gewöhnliches Modell, sondern deutlich um ein vollwertiges Kunstwerk an sich. 

Nie verkauft

Als Erasmus Quellinus II. starb, erstellten seine Erben ein Inventarverzeichnis. Auf dieser Liste findet man Hercules die den Leeuw (o)verwint van Artus Quellinus’ – Herkules, der den Löwen besiegt von Artus Quellinus. Sollte es sich dabei um dieses Kunstwerk handeln, dann würde das bedeuten, dass diese imposante Skulptur nie verkauft wurde und die Brüder Quellinus somit eine besondere Beziehung zu ihr hatten. 

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